Ein Kind mit Rollstuhl wird eingeschult. Das Schulhaus ist ein altes Gebäude und per se nicht hindernisfrei zugänglich. Was sagt das Gesetz? Wohin können sich Eltern wenden? Und welche Möglichkeiten an baulichen Anpassungen für ein barrierefreies Schulhaus gibt es?
Das Gesetz auf Bundesebene verlangt von den Kantonen, dass sie Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen Einschränkung in die Regelschule integrieren. Obwohl von einer Integration alle profitieren, gibt es in der Praxis immer noch zahlreiche Vorurteile und Missverständnisse. Dank aktivem Informieren und Sensibilisieren wird dies überwunden. Doch neben den Unsicherheiten im Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Handicap erschweren oder verhindern auch bauliche Probleme den Zugang zur Regelschule.
Zuerst Schulbehörde kontaktieren
Es braucht Abklärungen und Lösungen, um die baulichen Probleme für die betroffenen Kinder und Jugendlichen in Regelschulen zu beheben. Dazu sollten Schulbehörden, Lehrpersonen, Gemeinden und deren Bauverantwortliche, Eltern, Betreuungspersonen, Kinder und Fachstellen frühzeitig zusammenarbeiten.
In einem ersten Schritt sollten Eltern von Kindern, die auf einen Rollstuhl oder ein anderes Hilfsmittel zur Fortbewegung angewiesen sind, die Schulbehörde oder die kantonale IV-Stelle kontaktieren. Dort erfahren sie, wer zuständig ist und welche Möglichkeiten es gibt. Findet sich eine Lösung, stellt sich die Frage: Wer finanziert bauliche Massnahmen an Schulen? Dies ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt.
Gesetz legt Rahmenbedingungen fest
Die Schweiz hat am 13. Dezember 2002 das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) eingeführt. Das Gesetz soll Benachteiligungen, denen Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind, verhindern, verringern oder beseitigen – dazu zählen auch Zugänge zu öffentlichen Bauten. Das Gesetz setzt Rahmenbedingungen fest, die es Menschen mit körperlichen Einschränkungen erleichtern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, selbstständig soziale Kontakte zu pflegen, sich aus- und weiterzubilden und zu arbeiten.
Schulhäuser sind öffentliche Bauten. Deshalb ist es an den Schulbehörden, ihre Schulhäuser allen zugänglich zu machen. Bei Neubauten ist das problemlos umsetzbar. Hier greifen auch die Normen des Schweizerischen Ingenieur-und Architektenvereins (SIA) sowie die baubehördlichen Kontrollen im Vorfeld des Baubewilligungsverfahrens. Will heissen: Jedes Schulhaus, das neu gebaut oder umgebaut wird, muss barrierefrei und gesetzeskonform sein.
Bei alten Schulhäusern gilt es, Lösungen zu suchen
Wie sieht es mit alten oder gar historischen Schulhäusern aus? Zugänge wie Treppen und Schwellen, alte, schwere Türen und nicht rollstuhlgerechte Toiletten sind Hindernisse. Die Eigentümerschaft ist nicht verpflichtet, diese bestehenden Bauten hindernisfrei umzugestalten. Sobald eine grössere Sanierung ansteht, ist das Gesetz verbindlich und die Normen der Barrierefreiheit sind umzusetzen. Wird nun in einer Gemeinde ein Kind mit Handicap eingeschult, muss die kantonale IV-Stelle für das Kind individuelle bauliche Massnahmen finanzieren.
Einfach, zweckmässig und wirtschaftlich
«Einfach, zweckmässig und wirtschaftlich» lautet der versicherungstechnische Grundsatz. Dieser muss bei der Abklärung berücksichtigt und eingehalten werden. Hier kommen die Fachleute der SAHB zum Einsatz. Sie suchen gemeinsam mit Schulbehörden, Beratungsstellen wie Procap und Pro Infirmis für die betroffene Person eine Lösung. Von der Evaluation bis zur Umsetzung dauert es lange. Das wird oft zu wenig beachtet. So kommt es vor, dass eine Schulbehörde rasch eine funktionstüchtige Lösung auf den Schulstart hin einbauen muss.
Es ist allen Parteien empfohlen, so früh wie möglich mit dem Prozess zu beginnen. Oft kann gemeinsam mit den Schulbehörden und der IV-Stelle ein langfristiges, nachhaltiges Projekt erarbeitet und finanziert werden. Dies ist gerade in der aktuellen Situation angespannter Finanzhaushalte auf allen Ebenen essenziell.
Verhältnismässige Massnahmen – auch für Lehrpersonen
Auf das Wort «Verhältnismässigkeit» stösst man im BehiG und bei den Grundprinzipien der Invalidenversicherung. Die IV-Stelle ist oft nur wenige Jahre für ein Kind oder eine/n Jugendliche/n verantwortlich. Somit ist eine verhältnismässige Massnahme unter Umständen eine andere, als wenn ein Hindernis für zehn Jahre beseitigt werden muss.
Auch Lehrpersonen mit körperlichen Einschränkungen benötigen Anpassungen und Hilfsmittel in Schulhäusern. Da es sich bei ihnen um den Arbeitsplatz handelt, ist es eine langfristige Massnahme. Im Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (KHMI, Bundesamt für Sozialversicherung) ist festgehalten, dass zum Beispiel ein Treppenlift oder ein elektrischer Türöffner in einem Schulhaus nicht zurückgebaut wird.
Es liegt auf der Hand: Mit dem einfachen, zweckmässigen Kostenbeitrag der IV sowie dem finanziellen Beitrag der Schulbehörde sollte eine langfristige Lösung finanziert werden. In solchen Fällen unterstützt die SAHB die IV und die Schulbehörde als Dialogpartnerin und vermittelt mit Fachwissen zwischen den Parteien.
Das umfasst eine Abklärung
In die individuelle Abklärung einer betroffenen Person gehört auch die Bestandesaufnahme aller vorhandenen Räume. Wo befinden sich die Klassenzimmer, der Werk- oder Handarbeitsraum, die Toiletten, die Mensa, das Musikzimmer und andere Räume? Einen behindertengerechten Zugang zu diesen Räumen in alten Schulhäusern zu erschaffen, kann anspruchsvoll sein.
So kommen technisch bedingt auf den Treppen nur Treppenliftsysteme infrage, zum Beispiel Plattformlifte. Ein herkömmlicher Lift innen oder aussen wäre einfacher zu nutzen und nachhaltiger. Ein solcher stört den Personenstrom auf den Treppen nicht. Zudem sind Fluchtwege zu berücksichtigen, auch ist eine Bewilligung für die Montage eines Plattformliftes notwendig.
Das integrative Schulsystem
Beim integrativen Schulsystem werden alle Kinder gemeinsam geschult. Dies, sofern es für sie und ihre Entwicklung zuträglich ist. Zusätzlich bestehen weiterhin separate Schulen für Kinder mit erwiesenem sonderpädagogischem Bedarf. Grundlage für dieses Schulsystem bilden die bestehenden Gesetze, die die integrative Schulung befürworten, solange das Kind Teilhabe erlebt und bedarfsgerecht gefördert werden kann. Die Volksschule ist Teil des unentgeltlichen allgemeinen Schulwesens der Schweiz. Egal, welchen Förderbedarf ein Kind aufweist und ob es entsprechend integrativ oder separativ geschult wird. Grundsätzlich wird die integrative Schulung in allen Kantonen umgesetzt.
Situation an Sonderschulen
An Sonderschulen finanziert die IV keine baulichen Massnahmen. Solche Schulhäuser sind von Grund auf für Kinder mit Einschränkungen ausgelegt. In diesem Bereich kommt es zu einem sehr schwierigen Vorgabenkonflikt. Gemäss KHMI darf die IV-Stelle nur Treppenlifte und Hebebühnen finanzieren. Dem wiederum steht die SIA-Norm zu hindernisfreien Bauten im Weg, die Treppenlifte in Schulhäusern als nicht zulässig betitelt. Eine Pattsituation kann entstehen. Die IV-Stelle stellt sich auf den Standpunkt des KHMI und die Schulbehörde bezieht sich auf die baulichen Vorgaben. Was daraus entstehen kann, sind lange Streitprozesse, die sich über die Schulzeit von betroffenen Kindern hinausziehen. Um das zu verhindern, appelliert die SAHB auf lösungsorientiertes Planen und gegenseitiges Verständnis.
Der SAHB sind auch Finanzierungsentscheide bekannt, bei denen der Kostenträger beispielsweise einen elektrischen Türantrieb im Schulhaus ablehnt. Der Grund: Die fehlende Verhältnismässigkeit bei einer nur dreijährigen Nutzungsdauer. Zudem könnten die Schulkameradinnen und Schulkameraden dem betroffenen Kind beim Öffnen der Schulhaustüre behilflich sein.
Die erste Hürde: der Hauptzugang zur Schule
Bei Schulhäusern findet man häufig Windfänge mit Schmutzschleusen. Für eine Person mit einer Geheinschränkung oder im Rollstuhl sind diese oft Hindernisse unüberwindbar. Hier empfiehlt es sich, Schmutzmatten gegen überfahrbare und rollstuhltaugliche Schutzmatten auszutauschen. Diese erleichtern den Zugang.
Automatische Türantriebe in Schulanlagen
Braucht es automatisierte Schulhaustüren? Hier gilt es im Vorfeld zu klären, ob die betroffenen Kinder und Jugendlichen den Schulweg selbstständig bewältigen können und in welchem Umfang sie in der Regelschule betreut werden. Wichtig ist, dass die Schulanlage für alle zugänglich ist und die Selbstständigkeit der Betroffenen gefördert wird. Bestehende Türen zu automatisieren, ist eine Lösung. Geht dies aufgrund der Bauweise nicht, ist der Zugang über einen Nebeneingang zu prüfen. Bei einem sehr alten Gebäude müssen die Beteiligten allenfalls den Denkmalsschutz berücksichtigen und prüfen, wie verhältnismässig ein solcher Umbau ist. Für konkrete Lösungen sind in jedem Fall eine fachkundige Firma, die Bauverantwortlichen der Gemeinde sowie die Schulleitung beizuziehen.
Fluchtwege in Schulhäusern ein Muss
Der Fluchtweg muss in jedem Fall gewährleistet sein. Für den Fall einer hohen Frequentierung bei den Schulhaustüren ist eine Lösung vorzuziehen, bei der die Personen mit Einschränkungen die Türen mit einem Handfunksender öffnen können. Solche Sender können die Nutzenden über eine Bedienungs-App steuern. Die anderen Lehrpersonen und Schulkinder öffnen die Türen weiterhin manuell. Dadurch funktionieren diese Drehflügeltürantriebe über einen längeren Zeitraum störungsfrei. Da die IV keine Rückbauten finanziert, ist eine nachhaltige Lösung sinnvoll. Grundsätzlich sollte die Türbreite innerhalb des Rahmens mindestens 80 cm betragen. Dabei sind Türen vorzugsweise schwellen- und absatzlos zu planen. Unvermeidbare Absätze sollten nur einseitig und maximal 2,5 cm hoch sein.
Anforderungen an Fluchtwege
Bei baulichen Massnahmen, Installationen von Treppenliften und Hebebühnen sind gemäss Vereinigung der kantonalen Gebäudeversicherungen folgende Anforderungen zu erfüllen:
- Flucht- und Rettungswege so anlegen, bemessen und ausführen, dass sie jederzeit rasch und sicher benutzbar sind. Massgebend sind insbesondere die Nutzung und die Lage von Bauten, Anlagen oder Brandabschnitten, die Gebäudegeometrie und die Personenbelegung.
- Flucht- und Rettungswege sind als Verkehrswege verwendbar. Sie sind jederzeit frei und sicher benutzbar zu halten und dürfen ausserhalb der Nutzungseinheit keinen anderen Zwecken dienen. Die Zahl der vertikalen Fluchtwege wie Treppen und Ausgänge richtet sich nach der Geschossfläche, der Fluchtweglänge sowie der Personenbelegung von Bauten und Anlagen. Fluchtweganforderungen legt die Brandschutzbehörde für einzelne Bereiche eines Gebäudes oder einer Anlage fest.
Treppenlifte und Treppensteighilfen
Bei bestehenden Schulhäusern, wo kein Umbau vorgesehen ist, gibt es keine Pflicht zur hindernisfreien Umgestaltung. In solchen Fällen passt man individuell auf das betroffene Kind an. Mögliche Lösungen: Hebebühnen oder Treppenlifte. Beide sind jedoch nur dort vorzusehen, wo man weder Rampen noch Kabinenlifte einbauen kann. Ferner sollten Antragstellende mit der Schulleitung und Lehrerschaft abklären, ob die Schulzimmer so umdisponiert werden können, dass Kinder mit körperlichen Einschränkungen keine Treppen überwinden müssen.
Beim Einbau von Treppenliften beachten
Vor der Installation eines Treppenliftes gilt es, im bestehenden Treppenhaus die Fluchtwege aus dem Gebäude zu überprüfen. Hierbei berät die zuständige Gebäudeversicherung. Ist die Installation eines Treppenliftes genehmigt, können eine oder mehrere fachkundige Firmen, die Bauverantwortlichen der Gemeinde, die Schulleitung und die Betroffenen eine einfache und zweckmässige Lösung suchen.
Treppenlifte müssen für Rollstühle und Elektrorollstühle gemäss dem für Schulanlagen notwendigen Sicherheitsstandard angepasst und uneingeschränkt nutzbar sein. Ist die Situation betreffend die zu erreichenden Schulräume und Sporteinrichtungen noch nicht abschliessend geklärt, kann eine Treppensteighilfe von Nutzen sein.
Mit Treppensteighilfen Hindernisse überwinden
Dank Treppenraupen überwinden Rollstuhlfahrende Stufen. Damit das klappt, braucht es einen geeigneten Rollstuhl und eine erfahrene Hilfsperson. Treppensteighilfen sind daher oft nur als Übergangslösung und in Absprache mit der zu transportierenden Person einzusetzen.
Rollstuhl-WCs in Schulen
Bei grossen Schulanlagen sollte mindestens auf jedem Stock ein rollstuhlgängiges WC vorhanden sein. Bei kleinen Anlagen oder bestehenden Bauten sollte es mindestens ein Rollstuhl-WC an einer gut auffindbaren und zentral gelegenen Stelle geben. Grundsätzlich beträgt die Raumgösse mindestens 1,65 m x 1,80 m. Die Tür sollte innerhalb des Rahmens mindestens 0,80 m breit und gegen aussen zu öffnen sein. Bei älteren Schulanlagen gibt es oft keine Rollstuhl-WCs.
Knacknuss Kinder-WC
Toiletten für Kinder und Lehrpersonen sind getrennt und meistens mit Vorräumen und Handwaschbecken eingerichtet. Um zum WC zu gelangen, sind oft zwei Drehflügeltüren zu durchfahren, und die Toiletten sind durch Leichtbauwände unterteilt. Der Platz für das Befahren mit einem Rollstuhl reicht oft nicht aus. Situativ klären Fachpersonen zusammen mit der Schulleitung ab, ob man aus dem Kinder-WC ein Rollstuhl-WC machen kann oder das Lehrer-WC als solches nutzt. Dies durch das Entfernen von Hindernissen wie Durchgangstüren und Leichtbauwänden. Bei vorhandenen Türen ist darauf zu achten, dass zusätzliche Griffe angebracht sind. So rutschen beim Öffnen den Kindern die Hände nicht ab und sie können ihre Kraft besser verteilen.
Die erforderlichen Massnahmen entscheiden Projektleitende jeweils im Gespräch mit den Betroffenen, den Eltern, den zuständigen Schulbetreuungspersonen, den Klassenlehrpersonen und der Schulleitung. Handwerksbetriebe offerieren die Arbeiten anschliessend und führen sie aus. Jede Situation und die notwendigen Anforderungen sind sehr individuell.
Beratung bei der SAHB zahlt sich für alle aus
Es lohnt sich, bereits im Vorfeld mit den Fachpersonen der SAHB Kontakt aufzunehmen. Sie sind sehr erfahren und verfügen über entsprechendes Fachwissen. Zudem sparen die Beteiligten so viel wichtige Zeit, bis ein Schulhaus baulich angepasst ist.
Textquelle: https://sahb.ch/exma-vision/ausgaben-2021-2022/
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