Safari in Kenia, zelten in Australien, mit dem Camper durch Kanada – so entdeckt Roland Bigler die Welt. Immer dabei sind seine Partnerin, sein Rollstuhl und sein Swiss-Trac, denn der 55-Jährige ist Tetraplegiker. Seine Leidenschaft fürs Reisen hat ihn schliesslich zu Globetrotter geführt, wo er Interessierte zu barrierefreien Individualreisen berät.
Kulturen, Farben, Düfte, Tiere, Natur – auf der Welt gibt es vieles zu entdecken. Die Erinnerungen und die gemachten Erfahrungen auf Reisen prägen und bleiben im Herzen. Auch für Rollstuhlfahrende sind Individualreisen in ferne Länder möglich. Roland Bigler, Reiseberater für barrierefreie Reisen bei Globetrotter, im Gespräch mit der Exma INFO.
Wieso empfehlen Sie Menschen im Rollstuhl Abenteuer- und Individualreisen?
Reisen bereichert! Wobei für Rollstuhlfahrende Ferien an sich oft schon ein Abenteuer sind. Es gibt auf der ganzen Welt Unternehmen, die Menschen im Rollstuhl Erlebnisse anbieten, die über 08/15-Reisen hinausgehen. In Kenia und Südafrika gibt es Fahrzeuge mit Rampen für Elektrorollstühle. Ich habe bislang auf jedem Kontinent eine Rampe hinterlassen, weil mir die Leute wegen drei bis vier Treppenstufen eine gebaut haben. Wer weiss, vielleicht sind die Rampen noch heute dort und helfen anderen. Oder wie wärs mit einem Kamelritt? Ich habe einen Anbieter für barrierefreie Touren und Rundreisen in Marokko gefunden. Er bietet auch Kamelreiten für Rollstuhlfahrende an. Das geht dank einem speziell dafür konstruierten Sessel, der auf den Rücken des Tieres gebunden wird. So können auch Tetraplegiker eine Wüstentour machen und im Zelt übernachten. Solche Sachen reizen mich.
Sie sind Reiseberater bei Globetrotter. Wie sind Sie dazu gekommen?
Im Jahr 2012 war ich mit meiner Partnerin für ein Jahr in Australien. Vor der Reise hatte ich meinen Job gekündigt; kurz bevor es wieder nach Hause ging, kam mir die Idee, in einem Reisebüro zu arbeiten. Einem Reisebüro, das barrierefreie Individualreisen anbietet. Noch in Australien kontaktierte ich den CEO von Globetrotter, er war offen für meine Idee. Nun arbeite ich seit 2014 als Reiseberater und habe ein Beratungsangebot für barrierefreies Reisen aufgebaut. Es ist sinnvoll, wenn Rollstuhlfahrende andere Betroffene beraten. Zudem ist es glaubwürdiger. Denn wir kennen Themen, die Fussgängerinnen und Fussgänger nicht auf dem Radar haben.
Was machen Sie, wenn Interessierte Bedenken vor einer Reise in die Ferne haben?
Dann erzähle ich ihnen von meinen Erfahrungen. Bei Globetrotter hat jede Reiseberaterin und jeder Reiseberater ein Onlineprofil mit Reiseberichten – so auch ich. Dort können Interessierte nachlesen, was für mich alles möglich ist, wohin und wie ich reise. Sei dies eine Safari in Kenia, eine Reise mit dem Camper durch Kanada oder auf dem Hausboot durch Berlin. In Australien haben meine Partnerin und ich sieben Monate im Zelt gelebt. Klar, das geht nicht für alle, aber man sieht: Auch mit Rollstuhl ist vieles möglich. Natürlich ist jede Beratung individuell und die Reise abhängig von der Art der Mobilitätseinschränkung. Es kann auch eine Rolle spielen, ob die Person mit dem Elektro- oder dem Handrollstuhl reist. Gerade wenn man auf Hilfe anderer angewiesen ist. Ein Elektrorollstuhl ist schwer und lässt sich bei einem technischen Problem zum Beispiel nicht in ein Fahrzeug heben. Hingegen kann man einen Handrollstuhl problemlos anheben und verladen. Im Internet berichten Rollstuhlfahrende in ihren Blogs über ihre Reiseerfahrungen. Eine Recherche lohnt sich.
Welche Angebote bzw. Destinationen für Rollstuhlfahrende führt Globetrotter?
Wir haben bei Globetrotter für barrierefreies Reisen keinen Reisekatalog im klassischen Sinn. Kontaktiert mich jemand mit einem Reisewunsch oder einer Idee, dann recherchiere ich im Internet, ob es Angebote und Anbieter gibt. Ein Beispiel: Vor ein paar Monaten wollte eine Kundin mit ihrem Sohn auf die Galapagosinseln. Ehrlich gesagt dachte ich, das könnte eher schwierig werden. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. In Deutschland fand ich einen Anbieter, der barrierefreie Reisen auf die Galapagosinseln anbietet. Den habe ich kontaktiert. Mutter und Sohn verbrachten drei Wochen dort und waren begeistert. Bis jetzt konnte ich meinen Kundinnen und Kunden fast alle Wünsche erfüllen.
Flugreisen mit Rollstuhl haben ihre Tücken. Was müssen Reisende wissen, und wie bereiten sie sich am besten vor?
Die Airlines sind laut der Internationalen Luftverkehrsvereinigung IATA verpflichtet, auch Menschen mitzunehmen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Zudem müssen die Fluggesellschaften beim Ein- und beim Ausstieg helfen. Natürlich hat ein Fluggast gewisse Kriterien zu erfüllen. Zum Beispiel muss er im normalen Flugzeugsitz aufrecht sitzen können. Eine Tücke ist die Toilette. Das Flugpersonal hilft niemandem aufs WC. MS-Betroffene oder generell Menschen, die noch etwas Gehfähigkeit haben, können sich selbst vom Kabinenrollstuhl in das kleine Kabäuschen begeben. Für mich bedeutet das: Einmal im Flugzeug, bleibe ich bis zum Ausstieg an meinem Platz. Ich benutze einen Katheter und einen Urinbeutel, den meine Partnerin für mich leert. Bessere Möglichkeiten gibt es nicht.
Haben alle Fluggesellschaften die gleichen Richtlinien, wenn es um die Mitnahme von Rollstühlen geht?
Soweit ich informiert bin, sind die Richtlinien überall gleich. Reisende mit Rollstuhl müssen ihren Rollstuhl anmelden. Bei einem Elektrorollstuhl oder einem Zuggerät braucht es auch Angaben zur Batterieart. Das Mitnehmen eines Rollstuhls ist kostenlos. Wichtig ist, sich alles schriftlich bestätigen zu lassen. Ich war mal im Oman. Der Hinflug verlief reibungslos, beim Rückflug wollte die gleiche Airline plötzlich den Swiss-Trac nicht mitnehmen. Dies obwohl alles seine Richtigkeit hatte und ich mit dem gleichen Material unterwegs war. Auf solche Szenarien sollten sich Reisende mit Rollstuhl einstellen, flexibel und hartnäckig bleiben sowie auf ihre Rechte und die bestätigten Unterlagen beharren.
Gibt es bestimmte Fluggesellschaften, die Sie aufgrund ihrer Barrierefreiheit und Unterstützungsangebote besonders empfehlen?
Meines Wissens führen alle Gesellschaften etwa das gleiche barrierefreie Angebot. Bei den Schweizer Fluggesellschaften hat man den Heim- bzw. Sprachvorteil. Das macht es einfacher, sich bei Schwierigkeiten durchzusetzen.
Barrierefreiheit in einem Drittweltland ist zum Beispiel schon wegen der Infrastruktur nicht gleich wie bei uns. Wie sollen sich Reisende vorbereiten?
Meinen Kundinnen und Kunden ist es durchaus bewusst, dass sie in anderen Ländern nicht die gleiche Infrastruktur wie bei uns erwarten können. Besonders, wenn sie in ärmere Länder aufbrechen. Es kann überall passieren, dass ein Lift nicht funktioniert. Bei Zugfahrten ausserhalb von Grossstädten hat es vielerorts keine ebenerdigen Perrons. Oder das Personal einer Transportgesellschaft will die Verantwortung für einen Rollstuhlfahrenden nicht übernehmen. Da ist man auf die Hilfe von Mitreisenden angewiesen. Aber die unterstützen in der Regel gerne.
Haben Sie Beispiele dafür?
Auf einer fünfwöchigen Fidschireise machten wir einen Ausflug auf eine Insel. Die Fahrt mit dem Boot dauerte drei Stunden. Beim Buchen hatte ich erwähnt, dass ich einen Rollstuhl benutze und keine Treppen steigen kann. Die Crew meinte, es sei kein Problem, sie würde helfen. Eine Aussage, die viel Raum für Interpretation lässt. Auf dem Boot hob man mich vorsichtig aus dem Rollstuhl. Bei der Insel angekommen, konnte das Boot wegen Ebbe nicht an Land fahren. Ganz selbstverständlich trug mich die Crew gut 200 Meter durch das seichte Wasser. So spontan lösen die Menschen vor Ort Situationen.
Welche Tipps haben Sie, um sich vor medizinischen Notfällen auf Reisen zu schützen? Niemand kann sich vor allem schützen. Wichtig ist, genügend Ersatzmaterial, benötigte Medikamente sowie gängige Notfallmedikamente bei sich zu haben. Zudem sollten Reisende für einen Notfall eine Rückreiseversicherung besitzen. Es ist sicher sinnvoll, sich vorab bei den örtlichen Behörden, dem Veranstalter oder Menschen vor Ort über das nächste Spital oder die nächste Arztpraxis zu informieren. Hilfreich ist es auch, sich die Notfallnummer des Landes im Vorfeld herauszusuchen.
Organisieren Sie Ihren Kundinnen und Kunden Unterstützung und Betreuung vor Ort? Meine Kundinnen und Kunden reisen alle mit einer oder mehreren Begleitpersonen. Es ist ihnen wohler, wenn eine vertraute Person gewisse Pflegeaufgaben übernimmt. Eine Betreuung von Fremden kann heikel sein, wenn es zwischenmenschlich nicht funktioniert. Auf Teneriffa gibt es zum Beispiel eine Art Spitex. Wenn ich von solchen Angeboten weiss, leite ich die Kontakte bei Bedarf an Interessierte weiter. Organisieren müssen sie die Unterstützung aber selbst.
Welche Rolle spielen lokale Kontakte und Netzwerke beim Planen der Reisen?
Ob barrierefrei oder nicht: Bei Globetrotter buchen wir die Reisen ausschliesslich über andere Veranstalter mit lokalen Kontakten. Wir führen eine 24-Stunden-Helpline. Geht über diese eine Meldung ein, informiere ich den Veranstalter, und er koordiniert weiter. Auf Gruppenreisen ist es einfacher, da hat man eine Kontaktperson vor Ort.
In einer Gruppe oder selbstständig reisen: Welches sind für Rollstuhlfahrende die Vor- und Nachteile?
Der Vorteil einer Gruppenreise kann sein, dass man das Erlebte oder auch Ängste teilen kann. Sich gegenseitig unterstützt, motiviert oder Tipps gibt. Ich persönlich würde eine kleine Gruppe mit zwei bis drei Rollstuhlfahrenden vorziehen, mehr stelle ich mir schwerfällig vor. Sei dies beim Flughafentransfer oder bei Transporten im Ferienland. Auch ein Restaurantbesuch mit sechs Rollstühlen und mehreren Begleitpersonen wird für das Gastropersonal schnell eine platztechnische Herausforderung.
Welche Hilfsmittel ausser dem Rollstuhl nehmen Sie auf Reisen mit, und was gibt es zu beachten?
Grundsätzlich reise ich nach dem Motto: «Weniger ist mehr.» Mein Zuggerät, der Swiss-Trac, kommt immer mit. Andere Menschen sind auf einen Elektrorollstuhl angewiesen und müssen diesen mitnehmen. Man muss stets im Hinterkopf behalten, dass ein Gerät kaputtgehen und eine Reparatur schwierig sein kann. So ein Defekt kann das Ende einer Reise bedeuten. Diese Ängste sind verständlich, aber deswegen auf Reisen zu verzichten, wäre bedauerlich.
Zur Person
Ein Köpfler ins Meer wurde Roland Bigler zum Verhängnis. Infolge eines Schlags in den Nacken, verursacht durch eine Welle, wurde der damals 20-Jährige zum Tetraplegiker. Der gelernte Maurer ist seither von der Brust abwärts gelähmt – die Arme kann er eingeschränkt bewegen, die Finger nicht. Beruflich musste Roland Bigler umsatteln und absolvierte dazu bei der Stiftung Schulungs- und Wohnheim Rossfeld in Bern eine kaufmännische Ausbildung. Anschliessend arbeitete er dort in der IT und der Buchhaltung. Vom Reisen hat sich Roland Bigler trotz Rollstuhl nie abhalten lassen. Seine Erfahrungen kommen ihm bei seinen Beratungen für barrierefreies Reisen bei Globetrotter zugute.
Seine Reiseberichte sind unter: globetrotter.ch/rbigler
Quelle: Exma INFO 2/2024
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